Online-Vorlesung – Ist Buchführung eine neutrale Technik, weit entfernt von Geschichte und Politik? Ganz und gar nicht! In dieser Sitzung machen wir einen Ausflug in unsere Vergangenheit. Wir werden zeigen, wie die Geschichte der Buchführung mit der Geschichte des Kolonialismus verflochten ist.
Online-Vorlesung – Ist Buchführung eine neutrale Technik, weit entfernt von Geschichte und Politik? Ganz und gar nicht! In dieser Sitzung machen wir eine Exkursion in unsere Vergangenheit. Wir werden zeigen, wie die Geschichte der Buchführung mit der Geschichte des Kolonialismus verflochten ist:
Das erste “Vermögensobjekt”, das “abgeschrieben” wurde, war nicht eine Lokomotive oder ein Dampfschiff, sondern, sagen wir, ein fünfjähriger schwarzer Jungen-Sklave. Sklaven wurden vermietet oder auf Kredit gekauft; ihr Preis wurde an Börsen verhandelt; ihre Fruchtbarkeit floss in Geschäftspläne ein; gebrauchte Sklaven wurden abgeschrieben. Das “Scientific Management” entstand nicht an Fords Fließband, sondern eher auf kommerziellen Plantagen. Die Messung der Produktivität in Zeiterfassungsbögen scheint eine Erfindung der Sklavenhalter in Jamaika oder Haiti zu sein.
In “Kapitalismus: Eine kurze Geschichte” bemerkte der deutsche Historiker Jürgen Kocka: “Offensichtlich wurden fast alle Bestandteile des Finanzapparats, die wir mit dem Kapitalismus in Verbindung bringen, vor der Entstehung von Fabriken und Lohnarbeit entwickelt. … Man muss sich zuerst an den irritierenden Gedanken gewöhnen, dass die Umsetzung des frühneuzeitlichen Kapitalismus außerhalb Europas mit der massenhaften Zunahme unfreier Arbeit verbunden war.” (Princeton; Oxford: Princeton University Press, 2016).
Dieser “irritierende Gedanke” erhielt weitere Unterstützung durch die bahnbrechende Arbeit von Caitlin Rosenthal, deren Buch “Accounting for Slavery: Masters and Management” (Harvard University Press, 2018) im letzten Herbst an der Harvard Business School für Aufsehen sorgte. Wir beabsichtigen, diesen Ansatz weiter zu erforschen.